Schätzungen im Steuerrecht

Die Finanzbehörde ist für die Festsetzung der korrekten Steuer auf die Mithilfe der Steuerbürger angewiesen. Die Abgabenordnung (siehe §§ 140 ff. AO) und auch andere Gesetze sehen Mitwirkungs- und Auskunftspflichten vor, die den Finanzbehörden den Zugang zu den steuerrelevanten Unterlagen und Auskünften sicherstellen sollen. Im Gegenzug garantiert die Abgabenordnung (AO) mit dem Steuergeheimnis (§ 30 AO), dass die dem Finanzamt zur Verfügung gestellten Informationen nur zur Festsetzung von Steuern verwendet werden. So jedenfalls die Theorie.

Sollte der Steuerpflichtige seiner Verpflichtung nicht oder nur eingeschränkt nachkommen, so bleibt trotzdem die Verpflichtung des Finanzamts bestehen, für die rechtzeitige und vollständige Festsetzung der Steuern zu sorgen. Um diesem Auftrag auch in Fällen nachkommen zu können, in denen die Mitwirkungspflichten eventuell verletzt wurden, hat der Gesetzgeber dem Finanzamt die Schätzung nach § 162 AO als Ermittlungsinstrument an die Hand gegeben. Durch die Schätzung sollen die „Lücken“ im steuerrelevanten Sachverhalt aufgefüllt werden.

Naturgemäß sind die Schätzungen nicht genau. Die Schätzung sucht nach der größtmöglichen Wahrscheinlichkeit, was regelmäßig zu einer höheren Steuerfestsetzung führt. Dem Finanzamt billigt der BFH einen sehr weiten Schätzungsrahmen zu, von dem es in der Regel großzügig Gebrauch macht. Die Ungenauigkeiten gehen zu Lasten des Steuerpflichtigen, was mit dem Argument gerechtfertigt wird, dass der Steuerpflichtige für den Schätzungsanlass verantwortlich ist.

Im Folgenden gehe ich auf diese Voraussetzungen ein und beantworte einige grundlegende Fragen zu diesem Thema. Im Besonderen geht es um die Rechtsschutzmöglichkeiten, die gegen einen Schätzungsbescheid bestehen. An anderer Stelle gehe ich auf die Schätzung im Steuerstrafrecht ein.

Voraussetzung für eine Schätzung nach § 162 AO – Schätzungsbefugnis

Das Finanzamt hat immer dann eine Schätzungsbefugnis, wenn der Steuerpflichtige im Besteuerungsverfahren den angesprochenen Mitwirkungs-, Aufzeichnungs- oder Nachweispflichten nicht oder nicht hinreichend nachkommt. Das soll nach § 162 Abs. 2 S. 1 AO im Besonderen dann der Fall sein, wenn der Steuerpflichtige über seine Angaben keinen ausreichenden Aufklärungen zu geben vermag oder weitere Auskünfte verweigert.

Es ist dann nach § 162 AO zu schätzen, wenn sich der besteuerungsrelevante Sachverhalt nicht ermitteln lässt.

Infobox Schätzungen Steürrecht

Muss das Finanzamt gar nichts tun, bevor es eine Schätzung vornehmen kann?

Die Finanzverwaltung bleibt grundsätzlich erst einmal für die Sachverhaltsaufklärung verantwortlich (BFH v. 18.11.3008 – VIII R 24/07).  Erst wenn das Finanzamt nach Ausschöpfung der Ermittlungspflichten nicht in der Lage war, den steuerlich relevanten Sachverhalt aufzuklären, verlagert sich das Beweisrisiko auf die Seite des Steuerpflichtigen. Dieser hat die Unsicherheiten der Schätzung zu tragen (BFH/NV 2005, 835).

Schlüssige und vernünftige Schätzung

Die Schätzung muss das Ziel haben, dem tatsächlichen Ergebnis möglichst nahezukommen, wobei die Finanzbehörde einen weiten Schätzungsrahmen hat. Die Grenze jenes Schätzungsrahmens ist in dem Moment erreicht, in dem die Schätzung nicht mehr schlüssig, wirtschaftlich möglich oder vernünftig ist. Zudem muss das Finanzamt stets feststehende Tatsachen berücksichtigen.

Eine deutliche Abweichung, welche nicht mehr schlüssig oder wirtschaftlich möglich ist, lässt den Schätzungsbescheid rechtswidrig werden. Das ist im Einzelfall zu prüfen. Gerne berate ich Sie zu diesen Fragen. In ganz seltenen Ausnahmefällen führt die Abweichung auch zur Nichtigkeit des Bescheides, sodass er dann als rechtlich „nicht existent“ gilt (§ 125 AO). Das ist bei Schätzungsbescheiden jedoch nur dann der Fall, wenn das Finanzamt bewusst und willkürlich zum Nachteil des Steuerpflichtigen schätzt (BFH/NV 2010, 1084).

Maßnahmen gegen einen (rechtswidrigen) Schätzungsbescheid

Ein rechtswidriger Schätzungsbescheid kann – und sollte! – mit einem Einspruch angefochten werden. Es gelten dabei grundsätzlich die Ausführungen, die ich an anderer Stelle zum Einspruchsverfahren machte.

Teil der Überprüfung durch den Rechtsanwalt werden – neben den genannten Voraussetzungen für die Schätzung – auch stets die Auswahl und die Anwendung der (zulässigen) Schätzungsmethoden sein.

Versäumnis einer Einspruchsfrist

Die Folgen eines Ausbleibens eines Einspruchs können verheerend sein, denn der Bescheid wird nach Ablauf der Einspruchsfrist rechtskräftig; die Steuer muss in der geforderten Höhe gezahlt werden. In dieser Situation kann auch kein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gestellt werden, denn dieser setzt einen form- und fristgerechten Einspruch voraus (siehe meine Informationen zum AdV-Verfahren).

Es bleibt dann nur noch ein Änderungsantrag – sofern der Schätzungsbescheid unter dem Vorbehalt der Nachprüfung erging (§ 172 AO), welcher aber im Ermessen der Finanzbehörde steht. Die Erfahrung zeigt, dass diese Änderungsanträge aber häufig ohne Erfolg bleiben: Zwar liegen mit dem Änderungsantrag neue Tatsachen vor. Jedoch wird in der Verletzung der Mitwirkungspflichten, die zur Schätzung führten, ein grob schuldhaftes Verhalten des Steuerpflichtigen nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO gesehen, weshalb die Änderungsvorschriften nicht anzuwenden sind (BFH AO-StB 2005, 5).

Sollten Sie einen Schätzungsbescheid erhalten haben, so lassen Sie ihn von einem auf Steuerrecht spezialisierten Rechtsanwalt prüfen! Wie die vorgenannten Ausführungen zeigten, ist rechtzeitiges Reagieren unerlässlich. Gleichzeitig gibt es in Schätzungsfällen eine Vielzahl von Ansätzen, um gegen einen Schätzungsbescheid vorzugehen.