Telekommunikationsüberwachung im Steuerstrafverfahren nach § 100a StPO

Im Grundgesetz findet sich zwar (bislang) kein Recht auf Datenschutz, jedoch hat das Bundesverfassungsgericht in seinem sogenannten Volkszählungsurteil von 1983 das Recht des Einzelnen auf informationelle Selbstbestimmung anerkannt. Demnach ist es mit der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland nicht vereinbar, dass „der Bürger nicht mehr wissen könne, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß.“

Diesem Grundrecht des Einzelnen auf informationelle Selbstbestimmung gegenüber steht mitunter das Allgemeininteresse. In einigen Fällen kann es schließlich im Sinn des Gemeinwohls sein, Telefonate abzuhören oder E-Mails mitzulesen, um mit den so gewonnenen Informationen Straftaten zu verhindern, aufzudecken oder nachzuweisen. Dies gilt nicht nur für schwere Straftaten wie Terrorismus oder Mord, sondern auch für einige Straftaten aus dem Steuerstrafrecht.

Wer gerade über eine Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung nachdenkt, mag sich beispielsweise fragen, ob seine Telefonate von den Ermittlungsbehörden abgehört und aufgezeichnet werden können. Um es vorwegzunehmen: Das ist in den allermeisten Fällen nicht möglich. Denn eine solche Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) ist nach § 100a ff. StPO nur unter sehr bestimmten Voraussetzung und dann auch stets nur in engen Grenzen möglich.

Welche Straftatbestände aus dem Steuerstrafrecht fallen unter § 100a StPO?

§ 100a Abs.2 Nr. 2 StPO führt drei sogenannte Katalogtaten aus der Abgabenordnung (AO) auf:

  • bandenmäßige Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 5 AO
  • gewerbsmäßigen, gewaltsamen und bandenmäßigen Schmuggel nach § 373 AO
  • gewerbs- und bandenmäßige Steuerhehlerei nach § 374 Abs. 2 AO

Typische Fälle, in denen eine TKÜ im Bereich des Steuerstrafrechts möglich wäre, sind beispielsweise der organisierte Tabakschmuggel oder Umsatzsteuerkarusselle. Das Abhören, Aufzeichnen bzw. Abfangen von Telefonaten, Faxen oder E-Mails ist daher in den meisten Fällen einer Steuerhinterziehung nicht möglich.

Infobox Telekommunikation

Welche Überwachungsmaßnahmen können genehmigt werden?

§ 100a StPO ermöglicht es den Verfolgungsbehörden, die Telekommunikation der Betroffenen zu überwachen und aufzuzeichnen. Der Begriff Telekommunikation bezieht sich nach allgemeiner Auffassung dabei nicht nur auf das klassische Telefon über den Hausanschluss, sondern erfasst auch jede andere mit Telekommunikationsgeräten übertragene Äußerungsform wie Bilder, Texte oder Zeichen.

Auch Faxe, SMS, E-Mail, WhatsApp-Nachrichten (und die anderer Messenger-Anbieter) sowie sämtliche Formen der Internet-Telefonie (Skype etc.) können daher mit richterlicher Anordnung nach § 100a StPO überwacht und aufgezeichnet werden.

Überwachung des E-Mail-Verkehrs von Betroffenen

Eine wichtige Einschränkung bei der TKÜ betrifft die für die Telekommunikations-Botschaften kennzeichnende Einteilung des Kommunikationsaktes in Senden, Übertragen und Empfangen. Überwacht und aufgezeichnet werden darf grundsätzlich nur der Kommunikationsakt vom Senden bis zum Empfangen. Ist eine Botschaft erst einmal beim Empfänger angekommen, liegt Sie außerhalb des von § 100a StPO erfassten Bereichs und darf weder überwacht noch aufgezeichnet werden.

Mit anderen Worten: Hat ein Fax oder eine E-Mail erst einmal seinen Empfänger erreicht, greift das Mittel der Telekommunikationsüberwachung nicht mehr. Schließlich liegt die Botschaft dann auf dem Gerät des Empfängers. Die feine Unterscheidung zwischen Senden, Übertragen und Empfangen ist jedoch für die Frage, ob Informationen aus E-Mails gegenüber dem Zugriff des Staates besonders geschützt sind, aus einem anderen Grund von Bedeutung.

Denn zu den technischen Besonderheiten des E-Mail-Verkehrs zählt, dass der Kommunikationsakt in der Regel nicht nur zwischen Sender und Empfänger verläuft, sondern meist auch E-Mail-Provider (wie etwa Gmail, GMX, Telekom etc.) beteiligt sind. Diese speichern die Nachricht sowohl beim Senden als auch beim Empfangen auf ihre Server. Und eben diese Speicherung ermöglicht es den Ermittlungsbehörden laut höchstrichterlicher Rechtsprechung (BverfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 16. Juni 2009 – 2 BvR 902/06) – Mails auf dem Mailserver eines Providers nach §§ 94 ff. StPO sicherzustellen und zu beschlagen.

Der Vorteil für die Ermittlungsbehörden: Sie benötigen für die Beschlagnahmung und Sicherstellung der E-Mails auf dem E-Mail-Server des Providers weder eine gerichtliche Genehmigung noch muss eine der oben genannten Katalogtaten vorliegen – es genügt ein einfacher Anfangsverdacht. Aus diesem Grund ist es ratsam, sensible Informationen möglichst nie über E-Mail zu verschicken.

Überwachung von Faxen und Telefonaten

Faxe und Telefonate sind im Vergleich zur E-Mail dagegen besser vor Zugriffen des Staates geschützt. Sie dürfen nur überwacht werden, wenn es um eine der Katalogtaten nach § 100a Abs.2 Nr. 2 StPO geht und ein Richter die Überwachung genehmigt. In den meisten Steuerstrafverfahren müssen Betroffene daher nicht befürchten, dass ihre Kommunikation abgehört wird.

Die Grenze zwischen der für Steuerstrafverfahren möglichen TKÜ nach § 100a StPO und der für Steuerstrafsachen nicht erlaubten Online-Durchsuchung nach § 100b StPO lässt sich gut am Beispiel der Internettelefonie (VoIP) erläutern. So wäre beispielsweise die Überwachung der Kommunikation eines Verdächtigen über „Skype“ mittels einer auf dessen Rechner oder Smartphone installierten Spionagesoftware möglich – gemeint ist die sogenannte Quellen-TKÜ mittels des viel diskutierten „Bundestrojaner“ oder „Staatstrojaner“.

Solche Trojaner dürften bei Steuerstraftaten allerdings tatsächlich nur die via „Skype“ geführte Kommunikation aufzeichnen. Das technisch auch mögliche Ausspionieren anderer Daten auf dem Computer wäre rechtlich dagegen unzulässig, da in den Katalogtaten von § 100b Abs. 2 StPO keine Steuerstraftatbestände aufgeführt sind.

Was darf bei der TKÜ aufgezeichnet werden und was nicht?

Die Telekommunikationsüberwachung nach § 100a StPO hat allein der Aufklärung einer möglichen Straftat zu dienen. Nach § 100d StPO ist die TKÜ sogar insgesamt unzulässig, wenn sie lediglich Erkenntnisse aus dem Kernbereich der privaten Lebensgestaltung erbringt – etwa zur sexuellen Orientierung des Betroffenen oder zu Vorlieben und Neigungen, die nichts mit der Sache zu tun haben. Sofern doch Daten aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung erhoben werden, sind diese zu löschen bzw. muss deren Verwertbarkeit von einem Gericht erneut geprüft werden.

Die TKÜ richtet sich nach § 100a Absatz 3 StPO gegen den Tatverdächtigen. Jedoch kann die Überwachung auch auf Personen ausgeweitet werden, deren Anschluss der Beschuldigte nutzt oder bei denen anzunehmen ist, dass sie für den Beschuldigten Mitteilungen annehmen oder weitergeben.

Eine Ausnahme der Überwachung Dritter nach § 100a Absatz 3 StPO ergibt sich, wenn vermutet wird, dass der Verteidiger des Beschuldigten als Nachrichtenmittler fungiert. Eine Überwachung der Kommunikation zwischen Beschuldigtem und Verteidiger widerspräche dem Recht beider Parteien auf unüberwachte Kommunikation nach § 148 StPO . Sie haben daher im Steuerstrafverfahren nicht zu befürchten, dass die Telefonate mit Ihrem Anwalt abgehört werden.

Achtung: „Hörfalle“

Gelegentlich gelingt es der Ermittlungsbehörde, einen Anschlussbesitzer davon zu überzeugen, dass sie bei einem Telefongespräch mithören dürfen. Tatsächlich ist für eine solche „Hörfalle“ keine richterliche Anordnung nach § 100a StPO notwendig, da das Fernmeldegeheimnis nicht gilt. Ein solches Gespräch kann daher auch abgehört werden.

Erhebung von Verkehrsdaten

Telefon- und Internetdienstanbieter erheben immer auch sogenannte personenbezogene Daten, durch die sich Rückschlüsse auf Personen ziehen lassen. Das können allgemeine Personendaten wie Name und Anschrift sein, aber auch Bankdaten oder Online-Daten wie die IP-Adresse oder Standortdaten bei Mobilfunkkommunikation. Nach § 100g StPO dürfen auch diese Daten erhoben werden, sofern sie der Erforschung des Sachverhalts dienen.

§ 100g Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StPO verweist dabei explizit auf den Katalog von § 100a Abs. 2 StPO, was für eine Erhebung von Verkehrsdaten auch für Steuerstrafverfahren spricht. Dessen ungeachtet hat das Bundesverfassungsgericht zur Vorratsspeicherung der Telekommunikationsbetreiber festgestellt (BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 02. März 2010 – 1 BvR 256/08 – Rn. (1-345)), dass der Abruf und die unmittelbare Nutzung der Daten schwere Straftaten voraussetzt. Damit käme im Bereich der Steuerstrafverfahren die Erhebung von Verkehrsdaten nur bei schwerer Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 5 AO in Frage.