Notwehr nach § 32 StGB rechtfertigt eine an sich rechtswidrige Tat wie die Verletzung oder sogar Tötung eines anderen Menschen. Die Grenzen bzw. der Rahmen, den der Gesetzgeber und die Rechtsprechung für diese Rechtfertigung vorgeben, sind eng, und zugleich immer auch abhängig von der Interpretation der Umstände, die zur Notwehr (Selbstverteidigung) bzw. der Nothilfe (Verteidigung zugunsten Dritter) führten.
Als Notwehr bezeichnet § 32 Abs. 2 StGB
„… die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.“
Der Gesetzestext beschreibt damit die Notwehrlage, die vorliegen muss, damit sich der Betroffene auf § 32 StGB berufen kann.
Auf Notwehr nach § 32 StGB kann sich nur berufen, wer sich in einer Notwehrlage befindet / befand
Aus dem zitierten Gesetzestext geht hervor, dass Notwehr nach § 32 StGB nur für Individualrechtsgüter gilt, also für Rechtsgüter, die den Einzelnen betreffen.
Auf Notwehr berufen kann sich demnach nur, wer individuelle Güter oder Interessen Einzelner schützen will wie etwa Eigentum, Leben, Körper, Ehre, Gesundheit und/oder Freiheit.
Die Verteidigung allgemeiner Rechtsgüter – wie etwa die Sicherheit des Straßenverkehrs, der allgemeinen Ordnung oder der Umwelt – obliegt allein dem Staat. Wer die Allgemeinheit vor Unrecht bewahren möchte, kann sich daher nicht auf Notwehr nach § 32 StGB berufen. Der Grund dafür wird noch deutlicher, betrachtet man die weiteren Bedingungen, an die das Vorliegen einer Notwehrlage geknüpft sind:
Notwehr nach § 32 StGB liegt nur dann vor, wenn sie sich gegen einen rechtswidrigen Angriff richtet
Ein Angriff kann als Handlung eines Menschen definiert werden, mit der ein Rechtsgut wie das Leben, die Gesundheit oder das Eigentum eines anderen Menschen bedroht wird. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Bedrohung des Rechtsguts vorsätzlich oder fahrlässig erfolgt. Wesentlich ist, dass die Bedrohung durch menschliches Verhalten verursacht wird.
Der Angriff muss gegenwärtig sein
Wann sich ein Angegriffener zur Wehr setzt, ist für die Beurteilung einer Notwehrlage ebenfalls von entscheidender Bedeutung. § 32 StGB verlangt, dass der Angriff im Moment der Notwehr gegenwärtig zu sein hat. Nach allgemeiner Rechtsauffassung ist das der Fall, wenn der Angriff
- unmittelbar bevorsteht
- gerade stattfindet
- noch nicht vollständig abgeschlossen ist
Niemand muss daher warten, bis er geschlagen oder getroffen wird, ehe er zu seiner Notwehrhandlung ansetzt. Verallgemeinert lässt sich sagen, dass ein Angriff dann unmittelbar bevorsteht, wenn der Täter für seine Tat keine weiteren Zwischenschritte durchführen muss, um das Rechtsgut zu gefährden oder zu verletzen.
Kündigt beispielsweise jemand seinen Angriff aus der Ferne an, rechtfertigt diese Ankündigung allein noch keine Verteidigungshandlung im Sinne von § 32 StGB. Daher ist es nicht zulässig, sich vor dem Beginn eines Angriffs gegen den Angreifer zu wehren. Eine solche Präventivnotwehr ist durch § 32 StGB nicht abgedeckt. Das gilt auch für Fälle andauernder Gefahr (etwa in Familien oder der Nachbarschaft). Diese begründen allerdings unter Umständen das Notstandsrecht nach § 34 StGB.
Beendet ist ein Angriff erst dann, wenn er durchgeführt oder, endgültig aufgegeben wurde bzw. fehlgeschlagen ist. Flüchtet der Täter bereits, ist die Notwehrlage nicht mehr gegeben. Galt der Angriff einem Eigentum und flüchtet der Täter mit der Beute, ist der Angriff noch nicht vollständig abgeschlossen, weil die Beute noch nicht „gesichert“ ist. Notwehr ist dann grundsätzlich noch möglich. .
Der Angriff muss rechtswidrig sein
Der Gedanke hinter der Notwehr ist, dass das Recht dem Unrecht nicht zu weichen braucht. Daher ist die dritte wichtige Bedingung für das Vorliegen einer Notwehrlage die Rechtswidrigkeit des Angriffs. Nur ein rechtswidriger Angriff kann das Recht verletzten. Handelt ein Angreifer beispielsweise selbst aus Notwehr, wäre sein Angriff nach § 32 Abs.1 StGB nicht rechtswidrig.
Was ist als Notwehrhandlung erlaubt?
Notwehr nach § 32 StGB kann sowohl als Schutzwehr als auch als Trutzwehr ausgeführt werden.
- Schutzwehr liegt vor, wenn der Angegriffene sich darauf beschränkt, den Angriff abzuwehren
- Um Trutzwehr handelt es sich, wenn man selbst aktiv gegen den Angreifer vorgeht, also einen „Gegenangriff“ durchführt
Sodann darf sich die Notwehrhandlung nur gegen Rechtsgüter des Angreifers richten. Rechtsgüter Unbeteiligter sind nicht durch das Notwehrrecht geschützt. Kommen Unbeteiligte in Folge einer Notwehrhandlung zu Schaden, handelt es sich also um eine rechtswidrige Tat.
Notwehr berechtigt allerdings nicht zu jeder Form der Verteidigung. Auch wer sich verteidigt, hat nicht das grenzenlose Recht zum Eingriff in die Rechte des Angreifers. In der juristischen Terminologie gibt es dafür die Begriffe Erforderlichkeit und Gebotenheit einer Notwehrhandlung.
Erforderlichkeit einer Notwehrhandlung
Welches Abwehrmittel für eine Verteidigung erforderlich ist, wird stets durch die gesamten Umstände bestimmt, unter denen sich Angriff und Abwehr abspielen. Die Wahl des Verteidigungsmittels hängt zudem immer an der Frage, ob das Mittel auch tatsächlich geeignet ist, den Angriff abzuwehren. Stehen mehrere Mittel zur Verfügung, um den Angriff zu beenden, dann hat der Angegriffene das mildeste zur Verfügung stehende Abwehrmittel zu wählen.
Beispiel: Wird ein Jäger im Wald von einem Spaziergänger beleidigt und damit in seiner Ehre angegriffen, ist der Gebrauch des mitgeführten Gewehrs sicher nicht erforderlich. Greift der Spaziergänger jedoch mit einem Messer an und fürchtet der Jäger um seine Gesundheit oder sein Leben , könnte das Abfeuern des Gewehrs hingegen durchaus als erforderliche Notwehr gewertet werden.
Für den Einsatz von Schusswaffen bei Notwehrhandlungen stellt die Rechtsprechung allerdings auch hohe Anforderungen. Man spricht hier von gestuftem Notwehrrecht. Sofern es die Situation erlaubt, müsste der Jäger aus dem Beispiel zunächst (1) androhen, von der Schusswaffe Gebrauch zu machen. Lässt der Angreifer sich davon nicht abschrecken, wäre der Jäger gehalten, (2) Warnschüsse abzugeben. Bringt auch das nichts, wäre (3) ein Arm- oder Beinschuss und als Ultima Ratio sogar (4) ein womöglich tödlicher Körperschuss als Notwehr zu rechtfertigen.
Gebotenheit der Notwehrhandlung
Damit die Notwehrhandlung gerechtfertigt ist, muss sie nach § 32 StGB auch geboten sein. Die Gebotenheit beschränkt das – grundsätzlich umfassend geltende – Notwehrrecht in bestimmten Situationen auf das mildeste Mittel oder lässt erst nacheinander die Schutz- und dann die Trutzwehr zu. Teilweise wird auch verlangt, dass der Angegriffene leichtere Rechtsgutsverletzungen hinnimmt.
Hier kann das bereits im Beispiel mit dem Jäger angesprochene Missverhältnis zwischen Rechtseinbuße beim Angegriffenen (Ehrverletzung durch Beleidigung) und Verletzung des Angreifers (tödlicher Schuss nach Beleidigung) genannt.
Nicht geboten kann eine Notwehr auch dann sein, wenn der Angegriffene bei erkennbar schuldlos Handelnden wie Geisteskranken oder Betrunkenen den Angriff gewissermaßen gleich „voll abwehrt“ und gar nicht erst versucht, dem Angriff auszuweichen. Ähnliches gilt für die Abwehr von Bagatellangriffen, die das Rechtsgut nur geringfügig beeinträchtigen sowie für provozierte Angriffe.
Für Beschuldigte gilt: Schweigen ist Gold
Wer sich nach einem Angriff dem Vorwurf der Körperverletzung oder gar des Totschlags oder Mords ausgesetzt sieht, für den kann die Frage, ob seine Tat durch Notwehr nach § 32 StGB gerechtfertigt ist von entscheidender Bedeutung sein: Wird die Notwehr bejaht, geht der Beschuldigte straffrei aus der Sache.
Sollten Sie einer Straftat beschuldigt werden, halten Sie sich daher an das Gebot, gegenüber den Ermittlungsbehörden keine Aussagen zu machen. Wenden Sie sich stattdessen unverzüglich an Ihren Anwalt für Strafrecht. Gerne bespreche ich mit Ihnen dann das weitere Vorgehen für Ihre erfolgreiche Verteidigung.